Nicht zu verfehlen
Ich selbst habe das Hühner vor allem als Veranstaltungsort für Partys und Festivals erlebt, vorwiegend ungewöhnliche – aber vergnügte – Abende mit Technomusik und auch mal einem Bällchenbad. Das hier ist aber keine Clubrezension, weil im Hühnermanhattan noch viel mehr passiert. Kurz nachdem ich nach Halle kam, hab ich schon von diesem Ort mit dem sehr kreativen Namen gehört. Er befindet sich in den alten VEB Neontechnik Werken Halle. Zur Orientierung: Knapp hinter der Steintorbrücke gelegen sind die Werke groß und von Weitem erkennbar. Außerdem folgt man eigentlich immer ein paar Leuten, sodass man sein Ziel nicht verfehlen kann. Beim ersten Mal dort war ich erstaunt und beeindruckt von der Location, die so gar nicht dem entsprach, was ich von anderen Clubs kannte. Erst mal ist das Gelände sehr groß. Es gibt sieben Häuser, von denen fünf früher als Fabriken und Werkstätten genutzt wurden, eines ist ein Heizhaus und das letzte ist eine Villa, also der Privatraum längst vergangener Besitzerschaft. Weiterhin macht die Einrichtung einen gemütlichen und die Mauern machen definitiv einen rustikalen Eindruck. Kein Wunder, die Gebäude stehen hier schon viel länger, als das Hühnermanhattan existiert, und wurden lange als Fabriken genutzt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte das Gelände den Gesellschaftern Thiem und Töwe, die ihrerseits nicht nur Leiter eines Gas- und Heizungsimperiums waren, sondern auch Kunstliebhaber und Händler. IKEA ließ hier zu DDR-Zeiten auch mal Neonlampen anfertigen.
Wie es zu dem Namen kam
Klingt erst mal wenig künstlerisch und auch gar nicht nach Hühnern. Der namentliche Ursprung liegt bei ein paar Hühnerställen in der großen Steinstraße der 90er-Jahre. Witzigerweise hatte man wohl die falschen Hühner dort einquartiert. Anscheinend handelte es sich nämlich dabei um Riesenhühner, denen die Ställe natürlich viel zu klein waren. Neue Ställe mussten her und weil diese sich stapelten, erinnerten sie so ein bisschen an Wolkenkratzer. Der Name „Hühnermanhattan“ war geboren. Einige Jahre gab es einen Streit um das Grundstück, bis schließlich die Ställe abgerissen wurden. Das Hühner musste umziehen und doch: Was ist mit den Hühnern passiert? Und wie kommt jemand von Hühnerzucht zu schöngeistigen Events? Möglicherweise liegt es daran, dass neben den Ställen ein Verein mit dem lustigen Namen „Verein Künstler gegen bröckelnden Putz“ einen Club für Lesungen, Musikveranstaltungen und Shows eröffnete. Außerdem hatte der Künstler und Besitzer des heutigen Hühnermanhattangeländes Gabriel Machemer schon damals, während seines Studiums, ein Händchen für ausgefallene Ideen und Projekte. Es waren eben auch seine Hühner und vielleicht noch ein paar andere Tiere (Note to Self: diesen Machemer treffen und ihn nach dem Verbleib der Tiere damals fragen). Mit dem Abriss der Gebäude war dort also nichts mehr möglich und der tierisch-künstlerische Aktionsraum wanderte weiter in das Diesterweghaus am Steintor. Als dort Renovierungen auch wieder alle vertrieben, ging es 2008 schließlich in die finale Location in der Hordorfer Straße. Die Finanzierung dieser Räume hat sich auch wieder aus einem schönen Zusammenspiel von Kunst und Fauna ergeben. Machemer fertigte 10 000 Hasen- und 1 200 Eselsbilder an und durch den Erlös aus deren Verkauf konnte er sich das Grundstück leisten. Noch heute ist das Gelände an den Hühnermanhattan e.V. verpachtet.
Offen für jede Art von Kunst
Dieser wirkt hier als gemeinnütziger Verein und freier Träger der Jugendhilfe. Tagsüber sind die Häuser für Projekte aller Art geöffnet. Über die Jahre wurde das Gelände mehrfach saniert und neue Räume in den alten Häusern wurden erschlossen, damit noch mehr Platz für alles, was irgendwie mit Kunst und Performance zu tun hat, geschaffen wird. Bands können hier proben und auch Konzerte aufführen. Autoren stellen ihre Bücher vor. Filmwettbewerbe haben hier schon stattgefunden. Mehrere Theatergruppen kommen zum Proben mehr oder weniger regelmäßig hierher. Das Hühner und sein Verein sehen sich selbst als Kulturzentrum, in dem sich so ziemlich jeder ausleben kann, der eine … ja, eine Idee hat, das bedarf gar keines speziellen Adjektivs. Der eigene Anspruch ist eine moderne Ästhetik, eine Besonderheit und vielleicht sogar Exzentrik. Gerade auch Studenten der Burg Giebichenstein haben hier die Möglichkeit, Werkstätten für ihre Arbeit oder Workshops zu nutzen und gleich im Anschluss Ateliers zur Ausstellung zu buchen. Es gibt einen Jugendclub mit eingebauter Bühne, praktisch für Jamsessions, da Musiker zu den Hauptmietern gehören.
MACH-Festival und andere wiederkehrende Veranstaltungen
Grund für die neuesten Renovierungsaktionen war das MACH-Festival (Media Art Culture Handle). Das studentisch organisierte Festival lädt an einem langen Wochenende im Jahr Kunst- und Kulturinteressierte und -schaffende ein und bietet Konzerte, Workshops, Ausstellungen, Filme und Partys, nicht nur zum passiven Sich-berieseln-Lassen, sondern zum aktiven MitMACHen. Die Studis brauchten in den vergangenen Jahren immer mehr Platz für das wachsend populäre Event. Diesem Bedürfnis kam der Verein nach und schaffte mehr Platz im Erdgeschoss. 2019 gab es eine Erweiterung der Tanzflächen und im nächsten Jahr soll noch mehr Raum für Ausstellungen entstehen. MACH ist neben den vielen individuellen Nutzungs- und Entfaltungsmöglichkeiten nur eine der regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen im Hühner. Vor allem, was Partys angeht, trifft man sich hier, außer im Apokalypsejahr 2020, zur Hühnermadness, zum Hühnermanhattan Sommerfestival oder zur Fête de la Musique Afterparty.
Nicht nur seine liebevoll verschrobene Geschichte, sondern die vielen Möglichkeiten kultureller Entfaltung, die uns hier geboten werden, machen das Hühnermanhattan zu einem Ort, der weit und breit seinesgleichen sucht.
Wo: Hordorfer Straße 4
Noch mehr Infos und Fotos: https://huehnermanhattan-kultur.de/
Geschichte des Hühnermanhattans nach Gabriel Machemer: https://amzn.to/2Xuhdcj