Die Künstlerin Valeria Sivtsova hinterlässt mit ihrer Malerei und ihrem Engagement einen bleibenden Fußabdruck in der Stadt Halle. Diese bringt sie als ihr persönliches Lieblingsmotiv immer wieder auf die Leinwand. Halle bedeutete für sie vor zehn Jahren einen Neuanfang – und nun möchte sie hier nie mehr weg.

Von Halles Innenstadt bis in die Silberhöhe ist es ein ganzes Stück,

aber an diesem Nachmittag habe ich genug Zeit eingeplant, um ein bisschen mit meiner Freundin Valeria spazieren zu gehen – aber vor allem, um sie für „deinhalle“ zu interviewen. Denn ihre Geschichte verdient große Aufmerksamkeit. Und wer in Halle mit offenen Augen unterwegs ist, wird schon von ihr gehört oder zumindest ihre Kunstwerke gesehen haben.

Als Erstes führt sie mich in den Pestalozzipark, wo schon eines ihrer Gemälde wartet. Das steht natürlich nicht einfach so im Freien, sondern schmückt die Sitzfläche einer Parkbank. Und diese ist nicht die einzige in Halle, die sie im letzten Jahr mit Genehmigung der Stadt bemalt hat. Nummer zwei steht am Stadtpark (auch wenn diese leider schon wieder vollkommen vom Regen reingewaschen wurde, aber keine Sorge, Valeria hat sich schon um nachhaltigeres Material gekümmert) und Nummer drei im Stadtviertel „Gastronom“ in der Neustadt.

Valeria Sivtsova Valeria Sivtsova
Die Bank im Pestalozzipark widmete Valeria einer Freundin,
die sich ein Motiv mit Raben wünschte.

Ich wollte natürlich gleich wissen, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war, Bänke zu bemalen. Normalerweise nutzt sie nämlich Leinwände. Mit dem Gedanken von Bildern auf Bänken kam sie das erste Mal in Kontakt, als sie 2019 zwei Monate in einer Einrichtung für Kinder aus sozial schwächeren Familien in Spanien arbeitete. Die Kinder und sie lackierten dort Holzbänke in bunten Farben. Warum sollte nicht also auch ein Bild auf einer Bank funktionieren? Zurück in Halle besorgte sie sich fix die Erlaubnis der Stadt und des Amts für Grünflächen. Die Materialien bezahlte sie selbst; sie sagt, es sei ihre Idee gewesen, warum dann nicht eigene Farben mitbringen? Diese Form von Street-Art hat schon beim Bemalen die Blicke besonders besorgter Bürger angezogen. Zweimal kam das Ordnungsamt vorbei und sie freuten sich anschließend gemeinsam über die schönen Motive. Valeria sagt aber selbst, dass die meisten Leute daran Gefallen gefunden hätten. Momentan wird über weitere drei bis fünf Bänke und Stromkästen verhandelt. Die Bemalung soll innerhalb einiger Projekte der Bürgerstiftung Halle und der Diakonie zusammen mit Kindern aus der Silberhöhe vorgenommen werden. 

Projekte dieser Art interessieren sie schon lange und sie arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin auch ehrenamtlich oder gegen geringe Entschädigung als Alltagsunterstützung für Menschen aus sozialen Brennpunkten oder mit Migrationshintergrund. Die Kunst ist nicht ihre Arbeit, sie ist definitiv ihre Leidenschaft. Ein Teil von Valerias Wohnung in der Silberhöhe dient ihr quasi als Atelier; voller Acrylfarbe, Pinsel und Leinwände. Bei jedem Besuch sehe ich mindestens ein neu begonnenes Bild. Darunter sind viele Ansichten von Halle, von denen Valeria nach eigener Aussage bereits über 20 gemalt hat und denen weitere folgen werden. Derzeit arbeitet sie an einer Privatbestellung, welche die Neustadt als Motiv hat. Es finden sich aber auch sehr viele Porträts von Freunden und Bekannten. Das wohl bekannteste ihrer Porträts ziert ein Wahlplakat des SPD-Politikers Igor Matviyets.

Porträts waren auch das Erste, woran sich Valeria überhaupt künstlerisch erprobt hat.

Ihr heute sehr individueller, eher expressionistischer Stil kam in ihren ersten Bleistiftzeichnungen noch nicht zum Tragen. Diese ersten Zeichnungen entstanden aus einer Not heraus, denn als sie 2011 nach Halle kam, hatte sie eine schwere Zeit hinter sich. Doch sie fand hier schnell Freunde und verliebte sich direkt in die Rabeninsel, in deren Nähe sie damals noch wohnte. Auch die Kunst half ihr zunächst, sich abzulenken, aber schließlich auch Trost, neue Kraft und Freude zu schöpfen. Vor allem Personen und Gesichter wollte sie irgendwann realistisch zeichnen können. Es dauerte etwas, bevor sie sich auch an Farben herantraute und hier begann, ihren eigenen Stil zu formen. Etwa 2015 bekam sie die ersten Komplimente von Freunden. Schließlich war sogar der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Dessau, den sie bei einem Mittagessen kennenlernte, von ihrem Talent überzeugt, weshalb er ihre Gemälde in seiner Galerie ausstellte. Mit dieser ersten Ausstellung nahm ihre Karriere steile Fahrt auf: Es folgten weitere in Dessau, im Welcome Treff in Halle und sogar in einer Sammelausstellung des Hallenser Stadtmuseums. Eine geplante Ausstellung im Ratshof wurde pandemiebedingt schon zweimal verschoben. Der nächste Termin liegt Anfang des Jahres 2022. Ihren eigenen jüdischen Glauben und das Schicksal der Stadt Halle hat sie in einem Bild des Synagogentors verarbeitet, welches zum Gedenken an den Terroranschlag am 9. Oktober 2019 ein Jahr später neben den Werken anderer Künstler auf dem Marktplatz ausgestellt war. Diese und weitere Ansichten der Stadt, wie etwa des Roten Turms, der Hausmannstürme und der Burg Giebichenstein, hat sie nun an das Stadtmuseum verkauft, welches ihre Bilder sowohl ausstellt als auch einige davon für den Giftshop verwenden wird. 

(c) Stadtmuseum Halle (c) Stadtmuseum Halle

Diese Ansichten spiegeln auch ihre persönliche Liebe zu Halle wider, in ihren Augen eine Stadt, die man immer wieder neu entdecken kann. Damit hat sie wohl auch recht. Auf unserem langen Spaziergang zeigt sie mir nämlich etwas, das vielen verborgen bleibt. Es ist ein begehbares Kunstwerk von Dagmar Schmidt: ein Grundriss eines abgerissenen DDR-Neubaublocks gefüllt mit Möbeln aus Zement und in typischer Anordnung eines Haushaltes vor der Wende. Davon ist Valeria so begeistert, dass sie fast alle ihre Freunde hierherbringt und bereits plant, ausländischen Studenten und Fans der sogenannten „Lost Places“ eine Tour mit Fokus auf die DDR-Vergangenheit Halles anzubieten, die auch durch die Silberhöhe führt. Das klappt natürlich erst nach Corona. Wie bei ihren Gemälden hängt auch an diesem Projekt ihr Herz und es hängt an Halle. Sie ist viel in der Welt unterwegs gewesen und keine Stadt hat ihr so gefallen wie unsere. Sie bleibt also. Sie lebt in Halle und Halle lebt in ihren Bildern und Projekten.

(c) Stadtmuseum Halle (c) Stadtmuseum Halle
Valeria Sivtsova
*1991 in Charkiw, Ukraine
Lebt in Halle seit 2011
@bilderdiegutestun