Auch hier versprühen Altbauwohnungen ihren rauen Charme, hier verliebt man sich in Großsteinpflaster und alte Brunnen. Hier kann man an der Saale entlangspazieren, auf der Würfelwiese in der Sonne liegen, Nutrias beobachten, wie sie unter höchstem Einsatz ihrer mannigfaltigen entzückenden Reize versuchen, um Nahrung zu buhlen. Hier fällt man von einem Café ins andere. Am August-Bebel-Platz geht man grundsätzlich in die falsche der ringsherum sternförmig angeordneten Straßen hinein. Hier fahren Menschen auf Inlineskates im Kreisverkehr und in den Cafés wird gelesen. Es wird Tee getrunken und gelesen, wie es sonst nur in amerikanischen Filmen über junge, verträumte SchriftstellerInnen vor ihrem großen Durchbruch geschieht, den Kopf voller Ideen und das Herz voller Ideale. Auf dem Vorplatz des Steintor-Varietés kann man im Sommer die in den Boden eingelassenen Wasserfontänen betrachten. Im Stadtpark lässt sich der Straßenlärm vergessen. SpaziergängerInnen führen ihre Hunde aus, Gruppen von Leuten liegen auf den Wiesen und einige ergattern sogar den Platz unter der großen Trauerweide. Andere werfen Körbe oder spielen Beachvolleyball. Im nahe gelegenen Skatepark werden Kickturns geübt, bis Tony Hawk darüber in Verzückung gerät.


Doch genug der Romantik.
In Halle findet man sich hervorragend zurecht. Der Steintor-Campus befindet sich am Steintor, die MedizinerInnen sind im Medizinerviertel. Pragmatisch, praktisch, gut. (Es tut mir so leid. Manchmal muss man den Schmerz einfach aushalten.)
Der Steintor-Campus, wo die Sozial- und Geisteswissenschaften ihren Heimathafen haben, ist der jüngste Campus der Universität. Erst im Wintersemester 2015/2016 begann hier der Lehrbetrieb. Früher waren auf dem Gelände im Übrigen die Agrarwissenschaften ansässig. Daher befindet sich auch das Museum für Haustierkunde, das Kühn-Museum, immer noch auf dem Campus.
Wie schon erwähnt finden die MedizinerInnen ebenfalls ihr Zuhause in der Nördlichen Innenstadt. Genauer gesagt zwischen dem Steintor und dem Stadtpark, begrenzt von der Magdeburger Straße und dem Franzosenweg. Die Medizinische Fakultät ist übrigens die Gründungsfakultät der MLU, demnach kann hier bereits seit über 300 Jahren Medizin studiert werden.
Aber nicht nur die MLU ist in diesem Viertel vertreten, sondern auch die renommierte Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Fun fact: Die Schule zog nach dem Umbau 1921/22 in die Burg ein, um ihre Bedeutung auch nach außen hin ausstrahlen zu können. Nun denn, Mission accomplished!


Folgend ein paar lieb gemeinte Empfehlungen:
Cafés
- Bewaffel dich – aus ganz Halle pilgern die Leute hierher, um Waffeln zu essen – vegan, süß, herzhaft, mit Cookie Dough, Milchcreme, getrockneten Tomaten oder schlicht mit Puderzucker, dazu die zusammengewürfelten, knautschigen Sessel und das Glück ist nicht weit
- The Shabby – Pancakes, pochierte Eier, Brote und Croissants, ob vegan oder nicht; Frühstück hat hier einen zu Unrecht längst vergessenen Stellenwert
- Wolkenkuckucksheim – dieser entzückende Name ziert ein Café direkt am August-Bebel-Platz; die Kuchenauswahl ist nicht riesig, aber vielseitig; statt Streuselkuchen gibt es hier z. B. Lavendelcheesecake; eine kleine Auswahl an Tapas bekommt man hier ebenfalls und im Sommer lässt sich die Geräuschkulisse durch den Brunnen direkt gegenüber schon genießen
Essen
- Don’t Worry Be Curry – yep, das wird hier vor allen Restaurants angeführt, und das völlig zu Recht; wer um 4 Uhr morgens an entkräftete PartygängerInnen noch Pommes und Hotdogs ausgibt, hat sich den Platz an der vordersten Front mehr als verdient
- Taparazzi – Tapas kommen ursprünglich aus Spanien und sind kleine Gerichte, die in einer Vielzahl auf den Tischen landen und geteilt werden; zwar ist in Deutschland die Kultur des Essenteilens nicht sonderlich ausgeprägt, das hindert aber niemanden daran, sie – getrennt voneinander – zu bestellen; den Tapas zu essen, macht einfach Spaß
- Gemüse Döner El Bakali – statt eines vegetarischen Döners mit Salat oder Falafeln gibt es hier auch Grillgemüse und vegane Couscousgerichte; einen normalen Döner erhält man hier natürlich auch
- VEG’s – veganes Streetfood, von Fladenbroten über Burger und Hotdogs bis zu Pommes und Wraps: Hier wird jeder satt
Einkaufen
- Abgefüllt – ein wahnsinnig herzlicher Unverpacktladen, der sich völlig zu Recht großer Beliebtheit erfreut; hier ersteht man nicht nur Nudeln und Reis in zig Varianten, sondern auch viele Müslisorten, Kräuter, Tees, Schokolade, Obst und Gemüse der Saison, und sogar Waschmittel kann selbst abgefüllt werden
Erholung
- Stadtpark – bereits erwähnt und einen Nachmittagsbesuch wert
- Botanischer Garten – seit Gründung der Universität, damals noch als Garten für Arzneipflanzen der Medizinischen Fakultät, wurde er nicht verlegt und bietet Heimat für ca. 12000 verschiedene Pflanzenarten; das Zusammenspiel aus sorgsam angelegten Gartenflächen und bewusst verwilderten Arealen macht einen Besuch natürlich sehr lohnenswert
- Würfelwiese – du wohnst in Halle, wenn du weißt, was Nutrias sind
Sehenswürdigkeiten
- Gedenkstätte Roter Ochse – Gedenken an die Opfer politisch motivierter Justiz in der Zeit von 1933 bis 1945 und von 1945 bis 1989
- Stadtgottesacker – eine Friedhofsanlage beim Stadtpark aus dem 16. Jhd., die während des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt und von 1991 bis 2003 umfassend saniert wurde
Zerstreuung
- Oper Halle – Ballett, klassische Opern, Musicals und Konzerte der Staatskapelle; das kulturelle Herz schlägt hier ein klein wenig schneller als es der Takt vorzugeben mag
- Puschkino – ebenfalls am August-Bebel-Platz gelegen, zeigt das Kino hier neben Blockbustern auch vermehrt Arthouseproduktionen und Dokumentationen
Nah am Zentrum und doch in den richtigen Ecken weit genug weg, um der Großstadtluft einmal zu entkommen. Geht hier Kaffee trinken, legt euch an die Saale, verlauft euch am August-Bebel-Platz und füttert auf keinen Fall die Nutrias.
